FinTech-Standort Deutschland Wirecard: Wo sind 1,9 Milliarden Euro hin?

Autor Dr. Stefan Riedl

Die Wirecard-Affäre erschüttert den FinTech-Standort (Finanztechnologie) Deutschland. Nach bislang unbewiesenen Anschuldigungen könnten viele Jahre lang Scheinguthaben in der Bilanz aufgebaut worden sein. Der Scherbenhaufen ist riesig.

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Wo sind 1,9 Milliarden Euro hin?
Wo sind 1,9 Milliarden Euro hin?
(Bild: © fotomek - stock.adobe.com)

Anleger, Wirtschaftsprüfer, ja der FinTech-Standort Deutschland leiden unter der ­Wirecard-Affäre. Die 1999 gegründete ­Aktiengesellschaft mit Sitz in Aschheim bei München, kennen Händler auch aus der IT-Branche, als Instanz, die sich um elektronischen Zahlungsverkehr, Risikomanagement hinsichtlich Zahlungsausfällen und Kreditkarten-Geschäfte kümmert – allesamt Geschäftsfelder also, bei denen Vertrauen eine zentrale Rolle spielt (siehe Kommentar).

Seit Wirecard im Juni 2020 einräumen musste, dass 1,9 Milliarden Euro in ihrer Bilanz nicht belegt werden können, sind die zentralen Fragen rund um das fehlende Geld nach wie vor ungeklärt. Der Skandal kam an die Öffentlichkeit, nachdem das eingesetzte Wirtschaftsprüfungsunternehmen Ernst & Young das Testat für die Bilanz verweigerte. Konkret konnte die Existenz von Guthaben auf Treuhandkonten in Höhe von 1,9 Milliarden Euro nicht nachgewiesen werden.

Festnahme, Insolvenz, Recherchen

In Folge trat der langjährige CTO und CEO in Personalunion, Markus Braun, zurück. Es folgte eine Festname von Braun. Vorgeworfen wird ihm Vortäuschung von Einnahmen sowie Marktmanipulation. Am Tag nach der Festnahme wurde der Manager gegen eine Kaution von fünf Millionen Euro auf freien Fuß gesetzt.

Am 25. Juni beantragte Wirecard die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beim Amtsgericht München – der vorläufige Höhepunkt in der Causa Wirecard.

Den Stein ins Rollen brachte auch die Financial Times, die bereits im Februar 2019, berichtete, dass Wirecard-Mitarbeiter in Singapur Kunden und Umsätze erfunden hätten, um eine Geschäftslizenz in Hongkong zu erhalten und um ihre Umsatzziele (scheinbar) zu erreichen.

Kommentar: Vertrauen ist der Anfang und das Ende von allem

Die Deutsche Bank – die auch schon bessere Zeiten gesehen hat – warb vor geraumer Zeit mit dem Slogan „Vertrauen ist der Anfang von allem“. Insbesondere wenn es um´s liebe Geld geht, ist diese Aussage sowie ihr Umkehrschluss richtig: Kein Vertrauen ist der Anfang vom Ende.

Ein Dax-Konzern, der sich unter anderem um das Risikomanagement von Zahlungsausfällen kümmert, braucht das Image ­eines hanseatischen Kaufmannes, der bei Geld keinen Spaß versteht. Wenn so ein Unternehmen 1,9 Milliarden Euro auf angeblich vorhandenen Treuhandkonten nicht nachweisen kann, ist das überspitzt gesagt in etwa vergleichbar mit einem Hersteller von veganem Brotaufstrich, der jahrelang heimlich alte Jagdwurst in Gläsern verkaufte – geradezu ein eklatanter Widerspruch in sich.

Leider gibt es viele Geschädigte in diesem einmaligen Vorgang: Die Anleger, die in ein seriöses Geschäftsmodell investierten, sind nun auf einer Art Zockerpapier sitzen geblieben. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) müssen sich Fragen gefallen lassen. Ja der Standort Deutschland für FinTech-Unternehmen leidet insgesamt.

Darüber hinaus zeigt der Fall Wirecard auch folgenden Zusammenhang wie in ­einem Brennglas: Forderungen – selbst wenn sie gegen große Dax-Konzerne bestehen – können sich als Schall und Rauch herausstellen. Übrigens: Auch Bankguthaben stellen in letzter Konsequenz lediglich eine Forderung gegen einen Finanzdienstleister dar. Gesetzliches Zahlungsmittel ohne Ausfallrisiko ist das gute alte Bargeld, der Antagonist zum „elektronischen Geld“.

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