Mobile-Menu

SPE als Lückenschließer in einer TCP/IP-orientierten Netzwerkwelt Drei Hypothesen zu Single Pair Ethernet

Von Rainer Schmidt [Red.: Kristin Rinortner]

Anbieter zum Thema

Single Pair Ethernet revolutioniert die Automatisierungstechnik im Auto, in der Industrie und Gebäudetechnik. Wie wird die Implementierung in diesen Anwendungsfeldern aussehen und was bedeutet das für die Verkabelung?

Single Pair Ethernet: SPE ist die Antwort auf die Frage, wie zukünftige Lösungen in der Automation aussehen müssen.
Single Pair Ethernet: SPE ist die Antwort auf die Frage, wie zukünftige Lösungen in der Automation aussehen müssen.
(Bild: Harting)

Single Pair Ethernet (SPE) wurde nur aus einem einzigen Grund entwickelt. Es soll eine der letzten großen Lücken in einer TCP/IP-orientierten Netzwerkwelt schließen – die Lücke zwischen der klassischen IT und der immer wichtiger werdenden Sensorik. Somit löst SPE bestehende kabelgebundene Ethernet-Netze, wie wir sie heute fast überall in der IT vorfinden, nicht ab.

Es geht nicht darum, vierpaarige Verkabelungen zu ersetzen, sondern darum, Sensor-/Aktor-Netzwerke barrierefrei an unsere IT-Netze anzudocken. Deshalb wird SPE auch als „Enabler“ für IoT und IIoT bezeichnet. Was das bedeutet und wie diese Entwicklung aussehen wird, soll der folgende Artikel beleuchten. Gleichzeitig wird mit einigen hartnäckigen „Hypothesen“ aufgeräumt, die lediglich Verwirrung stiften aber nichts zur Entwicklung von SPE und zukünftigen Märkten beitragen.

Single Pair Ethernet ist kein Zufallsprodukt, sondern die einfache Antwort auf die Frage, wie zukünftige Automatisierungslösungen aussehen müssen, damit sie erfolgreich am Markt umgesetzt werden können. Diese Frage hat drei Branchen besonders umgetrieben: die Automobilindustrie, die Industrieautomatisierung und die Gebäudeautomatisierung.

Alle drei Anwendungsfelder benötigen für den nächsten Schritt in den jeweiligen Automatisierungslösungen ungehinderten Zugang zu Sensor-/ Aktor-Netzwerken. Nur so lässt sich im Auto autonomes Fahren umsetzen, in der Industrie der durchgängige Herstellungsprozess nach Industrie 4.0 und in der Gebäudeautomatisierung das intelligente Gebäude realisieren.Diese Überlegungen treiben die Entwicklung von SPE voran. Dass Verkabelung einfacher und Steckverbinder kleiner werden, ist ein zusätzlicher positiver Effekt aber nicht die Ursache für SPE.

Wie sieht die Implementierung von SPE aus?

Nach diesen ersten Betrachtungen können wir zu den nächsten Fragen kommen. Wie wird die Umsetzung oder besser die Implementierung von SPE in den drei größten Anwendungsfeldern aussehen und was bedeutet das für die Verkabelung?

Automobilindustrie: Im Auto muss SPE einfach, schnell und trotzdem stabil, bei zum Teil extremen Betriebsbedingungen, implementiert werden. Für die Autobauer heißt das: einfache Ansteuerung aller relevanten Komponenten mittels SPE. Die Verkabelung dazu wird im Allgemeinen ungeschirmt und mit eigens entwickelter Verbindungstechnik erfolgen.

Diese Verbindungstechnik ist immer geprägt von einfachem Aufbau, welcher Vorteile von Steckverbindern und Klemmentechnik vereint und sehr platzsparend in Blöcken zusammengefasst werden kann. Schon jetzt werden erste Modellreihen mit SPE ausgeliefert. In zehn Jahren wird diese Technik Standard sein und den heutigen CAN-Bus oder vergleichbare Lösungen vollständig abgelöst haben.

Industrieelektronik: Bei der Industrieautomatisierung sieht das im Grunde ganz ähnlich aus. Auch hier spielen extreme Bedingungen wie große abzudeckende Temperaturbereiche, Schock und Vibration aber auch der IPx-Schutz vor Staub und Nässe eine wichtige Rolle beim Aufbau der Verbindungstechnik.

Allerdings werden in der Industrie überwiegend geschirmte Verkabelungen eingesetzt, um hohe Störfestigkeit (EMV) zu garantieren.

Somit orientiert sich das Design der Steckverbinder für SPE in der Industrieautomatisierung an robusten, geschirmten IP20-Verbindern bis hin zu IP65/67 geschützten Varianten in den weitverbreiteten Bauformen M12 bzw. M8.

Gebäudeautomation: In der Gebäudeautomatisierung ist wohl noch die spannendste SPE-Geschichte zu erwarten. Das hat damit zu tun, dass es bei den Systemen zur Gebäudeautomation Lösungen wie KNX, LON, EchoNet, TRON und weitere gibt, deren Hersteller sich strategisch entscheiden müssen, wie und in welchem Umfang sie zukünftig SPE nutzen wollen.

Über den Innovationsdruck von SPE in der Sensortechnik werden sie an der Technologie SPE aber nicht vorbeikommen. Ob die Hersteller diesen Technologiewechsel dann aber auch noch für weitreichendere Veränderungen z.B. hin zu komplett Ethernet basierten Systemen nutzen werden, bleibt abzuwarten.

Bei der Verkabelung kommen ungeschirmte und geschirmte Lösungen zum Einsatz, die in der Regel im Innenbereich installiert sind und somit bei weitem nicht die Robustheit wie in der Industrie aufweisen müssen. RJ45 hat hier, wenn überhaupt, als Service- und Prüf-Schnittsteller eine Rolle gespielt. Ansonsten kommen hier als Anschlusstechnik besonders Klemmleisten mit Schraub- oder Klemmtechnik zum Einsatz.

Jetzt Newsletter abonnieren

Täglich die wichtigsten Infos zu Netzwerktechnik, IP-Kommunikation und UCC

Mit Klick auf „Newsletter abonnieren“ erkläre ich mich mit der Verarbeitung und Nutzung meiner Daten gemäß Einwilligungserklärung (bitte aufklappen für Details) einverstanden und akzeptiere die Nutzungsbedingungen. Weitere Informationen finde ich in unserer Datenschutzerklärung.

Aufklappen für Details zu Ihrer Einwilligung

Drei kurze Fazits zur SPE-Verbindungstechnik

In allen drei Bereichen Auto, Industrie und Gebäude spielt der RJ45 bei der Einführung von SPE überhaupt keine Rolle. In allen drei Bereichen gibt es auch keine Historie (installierte RJ45 Basis), die bei der Einführung von SPE berücksichtigt werden müsste. Somit sind Überlegungen zur Rückwärtskompatibilität von SPE-Verbindungstechnik zu RJ45-Verkabelungen natürlich zulässig, aber nicht wirklich sinnvoll. Es fehlen schlichtweg die Anwendungen.

Hypothese Nummer 1: Ein SPE-Steckgesicht muss RJ45 rückwärtskompatibel sein, ist somit entlarvt.

Aber – auch das zeigt die kurze Beleuchtung der SPE-Anwendungsbereiche: jeder hat seine eigene Historie und vor allem, jeder hat sein ganz spezielles Anforderungsprofil. Das führt auch zu speziellen Designs in der SPE-Anschlusstechnik (in SPE-Steckgesichtern).

Deshalb wird es nicht DIE EINE Lösung geben, die von verschiedenen Seiten immer wieder eingefordert wird. Oder anders ausgedrückt: es wird keinen SPE-Stecker-Alleskönner geben!

Vielmehr kristallisiert sich heraus, dass es drei Lösungen an SPE Steckgesichtern geben wird: Eine fürs Auto (oder auch mehrere, je nach Hersteller), eine für die Industrie und eine für die Gebäudeinstallation.

Die Frage nach dem gemeinsamen Steckgesicht

Lassen wir jetzt für einen Moment das Thema Auto einmal außen vor und sehen uns Industrie und Gebäudeinstallation weiter an, um der Frage auf den Grund zu gehen, warum sich „die Steckerhersteller“ nicht auf ein gemeinsames Steckgesicht „einigen“ können.

Nur nochmals zum Verständnis: diese „Steckerhersteller“ sind kein homogenes Gebilde, sondern sind Wettbewerber auf einem Markt, der letztlich darüber entscheidet, welches Produkt viel und gern eingesetzt wird und welches durchfällt.

Und das ist gut so, gerade für den Anwender, der dadurch viele Produkte zur Auswahl erhält und selbst entscheidet, wem er den Vorzug gibt.

Die Forderung nach einer „Einigung“ kann natürlich auch so interpretiert werden, wer denn hier die Technologieführerschaft übernimmt? Diese Frage ist berechtigt. Und diese Frage ist auch beantwortet. Sowohl für die Industrie als auch für das Gebäude haben sich zwei Technologieführer in ihrem jeweiligen Bereich an die Spitze der SPE-Initiative gesetzt.

Diese beiden Anwendungsfelder treffen sich seit einiger Zeit - zumindest was die Verkabelung betrifft, oder genauer gesagt, was die Anbindung der neuen SPE-Verkabelung an die Strukturierte Gebäudeverkabelung betrifft - in der Normenreihe ISO/IEC 11801. Dort gibt es mit der ISO/IEC 11801-3 einen Industrieteil und mit der ISO/IEC 11801-6 einen Teil für die Gebäudedienste/Gebäudeautomatisierung.

Diese Tatsache hat die IEEE802.3 (Ethernet-Standardisierung) dazu veranlasst, ISO/IEC JTC 1/SC 25/WG 3 (Verkabelungsstandardisierung, die auch die 11801-Papiere entwickeln) nach einer Empfehlung für ein SPE-Steckgesicht zu fragen, was innerhalb SC 25/WG 3 Anfang 2018 zu einem Auswahlprozess führte.

Bild 1: Wie ist die Norm IEC 63171-6 entstanden?
Bild 1: Wie ist die Norm IEC 63171-6 entstanden?
(Bild: Harting)

Als Basis für diesen Auswahlprozess wurde von SC 25/WG 3 ein Anforderungsprofil für SPE-Steckgesichter erstellt. Teil dieser Anforderung war die Zusicherung aller Hersteller/Bewerber, das selbst eingereichte Steckgesicht bei Erfolg auch zu normen, um Steckkompatibilität zu gewährleisten und eine Patentfreiheit sicherzustellen.

An diesem Auswahlprozess nahmen diverse Hersteller, die allesamt auch in der internationalen Normung aktiv sind, teil, stellten ihre Konzepte vor und brachten ihr Knowhow in die Diskussion ein. Am Ende dieses Prozesses stellten sich alle Konzepte zu SPE-Steckgesichtern einer Wahl.

Diese Wahl (international ballot) wurde nach den Regeln der ISO/IEC durchgeführt und 25 Länder beteiligten sich durch ihre NCs (National Commitees). Dabei hat jedes Land jeweils nur eine Stimme.

Ergebnis im Juni 2018: es gab für das SPE-Industriesteckgesicht nach IEC 63171-6 (Harting-Konzept) eine absolute Mehrheit, genauso, wie für das Steckgesicht nach IEC 63171-1 (CommScope-Konzept) für die Gebäudeinstallation.

Hypothese Nummer 2: Die Steckverbinderhersteller können sich nicht auf ein SPE-Steckgesicht einigen, stimmt also so auch nicht. Über die internationale Normung bei ISO/IEC hat eine solche Einigung bereits Mitte 2018 stattgefunden.

Mit der Festlegung der ISO/IEC auf ein SPE-Steckgesicht für die Industrie (IEC 63171-6) und ein Steckgesicht für die Gebäudeinstallation (IEC 63171-1) gehen die Arbeiten an den weiterführenden Verkabelungsnormen nun sukzessive weiter.

Dabei werden die Beschlüsse zum SPE-Steckgesicht konsequent in die entsprechenden Papiere von ISO/IEC, TIA und IEEE eingearbeitet.

Die gute Nachricht für alle Anwender: das einheitliche SPE-Steckgesicht für die Industrie nach IEC63171-6 wird konsequent in alle relevanten Verkabelungsnormen übernommen und dort verbindlich vorgeschrieben.

Das betrifft im Einzelnen:

  • ISO/IEC 11801-3 AMD-1: Information technology – Generic cabling for customer premises (Strukturierte Verkabelung) Teil 3: Industrie, AMD-1: SPE
  • ANSI/TIA-1005-B Telecommunications Infrastructure Standard for Industrial Premises – SPE cabling
  • IEC 61918 Ed 4.0 AMD-1: Industrial communication networks – Installation of communication networks in industrial premises, AMD-1 SPE

Es war einmal die Prozessautomatisierung

Dann gibt es noch die Diskussion um die Prozessautomatisierung und die Bedeutung von SPE für die anstehenden Innovationen in diesem Bereich und das Argument, dass dort ja alles komplett anders sei.

Richtig ist, dass die Prozessautomatisierung eine gewisse Sonderstellung innerhalb des breiten Spektrums an Industrieautomatisierungslösungen einnimmt. So hat die Prozessautomatisierung mit ihren Anwendungsbereichen in der Öl- und Gasindustrie, in der Chemie- und Pharma-Branche aber auch im Bergbau, in der Wasserwirtschaft, Zement- und Glasfertigung, Lebensmittelindustrie usw. wiederum ein spezielles Anforderungsprofil.

Dieses Anforderungsprofil wird u.a. von großen Entfernungen geprägt, daher auch die 1000 m in IEEE802.3cg. Dies hat wiederum Auswirkungen auf die Querschnitte der Kupferkabel (AWG16, AWG 18) und sieht somit neben klassischen Steckverbindungen für SPE auch Anschlussblöcke (Klemmentechnik) vor.

Weiterhin spielt das Thema Ex-Schutz nach IEC/EN 60079-0 und IEC/EN 60079-7 eine wichtige Rolle. Somit muss die Anschlusstechnik in einigen Einsatzfällen der Prozessautomatisierung den Vorschriften zur Eigensicherheit genügen, was wiederum ein spezielles Design nach sich zieht.

Auch Lösungen zur Fernspeisung (remote powering) sind davon betroffen. Vernetzungskonzepte mit SPE in der Prozessautomatisierung sehen z.B. den Betrieb von SPE-Switchen in ex-geschützen Bereichen vor. Das bedeutet wiederum höhere Anforderungen an die Leistungen, die von PoDL nicht oder nur teilweise erfüllt werden können. Somit werden Anbieter von Prozessautomatisierungslösungen auch auf eigene Fernspeisungskonzepte zurückgreifen.

Nun stellt sich allerdings die Frage, welche Marktrelevanz die Prozessautomatisierung für die Entwicklung von IIoT und SPE hat. Und hier muss man ganz nüchtern feststellen: eine doch recht geringe. Die Prozessautomatisierung belegt bei den Lösungen für die Industrieautomatisierung einen einstelligen Prozentanteil. Der Sonderfall ex-Schutz wiederum nur einen Bruchteil davon.

Hypothese Nummer 3: Die Prozessautomatisierung bestimmt den Werdegang von SPE, ist also ebenfalls nicht belegt. Die Prozessautomation ist nur ein Anwendungsfall für SPE in der Industrie. Aufgrund der speziellen Anforderungen der Prozessautomatisierung sind teilweise auch Anpassungen bei SPE-Komponenten erforderlich. Somit ist die Prozessautomatisierung nicht der Schrittmacher für SPE, sondern umgekehrt. SPE gibt der Prozessautomatisierung die Möglichkeit, die Innovation bei der Entwicklung von TCP/IP-Netzen umzusetzen.

Es ist an der Zeit mit diesen drei Hypothesen aufzuräumen.

  • SPE und SPE-Steckgesichter haben nichts mit RJ45 zu tun.
  • In der Standardisierung wurde aus den verschiedenen Hersteller-Konzepten ein Steckgesicht für SPE-Anwendungen in der Industrie gewählt – IEC 63171-6.
  • Die Prozessautomatisierung bestimmt nicht die Entwicklung von SPE, sondern es ist genau umgekehrt.

Faktum ist: Single Pair Ethernet ist der Wegbereiter für IoT/IIoT.

Über den Autor

Rainer Schmidt ist Business Development Manager Cable Systems bei Harting Electronics in Rahden.

SPE Industrial Partner Network

SPE Systems Alliance

Dieser Beitrag stammt von unserem Schwesterportal Elektronikpraxis.

(ID:46565265)