Autonomes Fahren Entwicklung kommt nur zäh voran

Autor / Redakteur: Stefan Grundhoff / Viktoria Hahn

Vor Jahren überboten sich die Autohersteller mit ihren verheißungsvollen Ankündigungen, wann das autonome Fahren Einzug in unseren Alltag halte. Doch mittlerweile ist eine neue Realität eingekehrt. In den nächsten Jahren werden große Schritte ausbleiben.

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Die Rechtslage bezüglich autonomem Fahren ist speziell in Europa unklar.
Die Rechtslage bezüglich autonomem Fahren ist speziell in Europa unklar.
(Bild: Audi)

Der bereits vor Jahren angepriesene Durchbruch des autonomen Fahrens lässt weiter auf sich warten. Insbesondere Volvo, Tesla und Mercedes hatten sich vor drei bis vier Jahren in Person von Volvo-CEO Hakan Samuelsson, Tesla-Chef Elon Musk und Daimler-Entwicklungsvorstand ein Kopf-an-Kopf-Rennen geliefert, wann die jeweils eigenen Konzernprodukte unfallfrei durch den Verkehr kommen würden. Gestützt wurden die Ankündigungen durch Hightech-Start-Ups wie Mobileye, Nvidia, Waymo, Argo AI oder die großen Zulieferfirmen, die immer neue Probebetriebe verkündeten und so als vermeintliche Innovationstreiber in aller Munde waren.

Bisweilen hatte man den Eindruck, dass eine nennenswerte Zahl an Autos in US-Bundesstaaten wie Michigan, Nevada oder Kalifornien bereits außerhalb winziger Textflotten ohne Zutun des Fahrers unterwegs seien. Dazu die Bilder, in denen Tesla-Fahrer auf US-Highways ein Nickerchen machten oder die Fahrt zur Arbeit mit einem Film verkürzten. Viele waren der Meinung, dass sie bei einem neuen Fahrzeug bereits in ein zwei bis drei Jahren nicht mehr bei jeder Fahrt zum Steuer greifen müssen.

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Seit mehreren Jahren sind sowohl Autohersteller als auch große wie kleine Zulieferer in Sachen automatisiertem Fahren mit Hochdruck unterwegs und haben in der Tat zahlreiche Testfahrzeuge mit neuen Assistenzsystemen auf die Straßen gebracht. Viele Tests finden zudem auf abgesperrten Erprobungsarealen auf der ganzen Welt statt und einige Fahrzeuge sind mit einer entsprechenden Kennzeichnung mittlerweile auch im Straßenverkehr von Tokio, München, Los Angeles und Singapur unterwegs. Und doch werden wir in den nächsten Jahren nicht viel mehr als intelligente Autobahnassistenten bekommen, die Einzug in die neuen Modelle halten.

An sich ist der aktuelle Audi A8 bereits auf das hoch automatisierte Fahren der Stufe drei vorbereitet. Freigeschaltet wurde das System bisher nicht, obwohl er zwei Jahre auf dem Markt ist. Und diese Freischaltung dürfte in der aktuellen Generation wohl kaum noch erfolgen.

Die Gründe hierfür liegen nicht nur an einer zugegeben unklaren Rechtslage speziell in Europa, sondern insbesondere auch daran, dass die Sensoren und die Rechenleistung der Bordelektronik noch nicht die harten Anforderungen des automobilen Alltagsverkehrs erfüllen können. Und ganz nebenbei sind sie schlicht zu teuer.

Durchbruch erst nach 2030 erwartet

Nicht nur der scheidende BMW-Entwicklungsvorstand Klaus Fröhlich oder der CEO des Tier-1-Zulieferers Continental Elmar Degenhardt haben mittlerweile mehrfach bekundet, dass es bei autonomen Fahrzeugen erst nach dem Jahre 2030 einen Durchbruch geben könnte. Andere Experten bezweifeln ganz offen, ob das vollautonome Fahren der Stufe fünf überhaupt eine Chance auf die reale Umsetzung habe.

Problematisch bleibt, dass die aktuellen Fahrerassistenzsysteme nur im Kleinen für Erleichterung sorgen. Einparkhilfe, Abstandstempomat und Notbremsung funktionieren ebenso wie Totwinkelwarner oder Spurhalteassistent ohne nennenswerte Probleme. Doch ansonsten kann man auf Landstraße oder Autobahn die Hände lediglich ein paar Sekunden vom Steuer lassen, ehe die vernetzten Assistenten der Stufe zwei aussteigen und man wieder selbst zupacken muss.

Selbst die teilautonomen Fahrfunktionen der aktuellen Tesla- oder Cadillac-Modelle (Super Cruise) auf festgelegten Highways sind nicht mehr als ein Fahrerassistenzsystem der Stufe zwei plus. Gleiches gilt für Nissan, die in diesem Sommer die nächste Stufe des Fahrerassistenzsystems Pro Pilot zünden wollen.

Neue S-Klasse mit Fahrfunktionen der Assistenzstufe drei

Im September feiert weiterhin die neue Mercedes S-Klasse ihre Weltpremiere und die Automobilwelt wird wieder einmal mehr als einen Augenblick verharren, um zu schauen, was das Luxusmodell aus Sindelfingen an Hightech neu bereithält. Immer wieder hatte das Sternenmodell aus Schwaben neue Sicherheitsausstattungen eingeführt, die später Einzug in kleinere Modelle hielten. Bereits im Vorfeld war durchgesickert, dass die neue S-Klasse ab Werk mit den Fahrfunktionen der Fahrerassistenzstufe drei ausgestattet sein wird.

In abgesperrten Bereichen wie zum Beispiel Parkhäusern soll sogar die Stufe vier möglich sein. So soll die S-Klasse von morgen ohne Zutun des Fahrers per Knopfdruck auf dem Smartphone sogar automatisch vorfahren oder parken können. Möglich machen dies neue Kameras, intelligente Sensoren und nicht zuletzt der Datenturbo 5G, der erstmals in einem Serienmodell verbaut sein wird.

5G hält Einzug in zahlreiche neue Modelle

Nahezu zeitgleich soll das ab Mitte des Jahres mit einigen Fahrzeugen in China geschehen. Unter anderem hat der chinesische Premiumhersteller Nio angekündigt, dass er von der aktuellen 4G-Technik seiner Modelle ES6 / ES8 auf die 5G-Technik umstellen will, die von vielen Experten als Mindestanforderung für eine funktionierende Fahrerassistenz der Stufen drei und vier angesehen wird.

In den nächsten zwei Jahren wird 5G Einzug in die meisten neuen oder technisch aufgefrischten Fahrzeuge halten. Das gilt nicht nur für das elektrische BMW-Doppel aus i4 / i5, sondern auch für die ID-Familie von Volkswagen, die E-Tron-Modelle von Audi oder die neue Porsche-Sportler, die allesamt ab 2021 auf den Markt kommen. Besonders schnell dürfte die 5G-Technik, die eine Datenübertragung und damit Sicherheitsfunktionen nahezu in Echtzeit ermöglicht, bei Fahrzeugen in Asien und den USA implementiert werden.

Flächendeckendes 5G-Netz als Voraussetzung

Einige kleinere Hersteller aus China werben bereits damit, dass ihre Fahrzeuge aktuell mit 5G-Technik unterwegs sind. Das Problem sind dabei jedoch nicht nur die teuren Bordeinheiten mit 5G-Antennentechnik, sondern dass das 5G-Netz in vielen Regionen auch wegen der kleinen Funkwaben nur höchst regional funktioniert. Wer einmal auf deutschen Straßen unterwegs ist und selbst in Innenstädten oder auf Autobahnen nicht einmal 3G oder 4G in seinem Display sieht, mag darüber schmunzeln, dass das für das hoch automatisierte Fahren benötigte 5G-Netz in den nächsten Jahren flächendeckend verfügbar sein soll.

Es dürfte daher auch deshalb noch eine ganze Zeit dauern, ehe wir auf dem Weg zur Arbeit die Hände etwas länger vom Steuer nehmen können – außer man gönnt sich einen Chauffeur. Und der war in den 1960er-Jahren deutlich verbreiteter als heute.

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